Auf dem Weg zur Arbeit komme ich an einer Reihe von Zeitungskästen vorbei. Es ist mir über die letzten Jahre zur Gewohnheit geworden, beim Vorübergehen etwas langsamer zu werden, um die sichtbaren Überschriften zu lesen. Warum ich das trotz Hosentaschen-Internets mache, weiß ich nicht. Viel Neues erfahre ich auf diesem Weg nicht. Normalerweise vergesse ich nach ein paar Schritten die Schlagzeilen auch wieder. Nicht so heute Morgen.
Hinter der Glasscheibe des grünen Kastens stand: „Trump zettelt Kleinkrieg in Georgia an“. Ich blieb stehen und wollte die Zeitung herausnehmen. Mein Vorhaben scheiterte, da der Kasten mit einem Schloss gesichert war. Ich ging weiter. Hat Trump jetzt doch noch einen Krieg angefangen? Kurz vor Ende seiner Amtszeit? Gab es etwa bürgerkriegsähnliche Ausschreitungen? Ich blieb wieder stehen. Die Zeitung sollte ich mir kaufen – klingt interessant. Ich schaute in meinen Geldbeutel. Kein Kleingeld. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal ein Printmedium in den Händen? Ich trabte weiter.
(Kleingedrucktes vom 08.12.2020) Hinweis in eigener Sache: Diesen Text habe ich Anfang August begonnen zu schreiben und zu diesem Zeitpunkt gab es fast keine Berichterstattungen über Impfstoffe oder Medikamente.
Egal welches Medium ich zur Zeit für Neuigkeiten heranziehe, überall das gleiche Bild. Graphen, Statistiken, Hochrechnungen, Einschätzungen und Landkarten mit tiefroten Flecken von Neuinfektionen durch das Corona-Virus. Auch im Radio das immer gleiche. Und das bereits morgens, bevor ich in den Spiegel geschaut habe. Warum berichtet die Freie Presse nicht mehrmals täglich über den Fortschritt bei der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten? Wenn ein Virus die Welt verunsichert, sollten doch genau solche Nachrichten in den Focus gerückt werden. Auf jeden Fall würde ich als Süddeutscher genau das hören wollen. Sie etwa nicht?
Vor nicht allzu langer Zeit, es muss in der Epoche des Faxgeräts (Anm. d. Red.: Telefon mit Papier) gewesen sein, hatte Frau Merkel versprochen, die Emissionen in Deutschland bis 2020 um mindestens 40 Prozent gesenkt haben zu wollen. Im Jahr der Herrin 2019 stellen Experten nun verwundert fest, das wird wohl nicht klappen. Und das, obwohl der Blaue Engel - Verzeihung, obwohl die Umwelt-Kanzlerin so große Hoffnungen in die Vernunft der Industrie gesetzt hatte. Freiwillig sollten die Großkonzerne den Empfehlungen der Regierung folgen; mit Weitsicht, Moral und Eigenverantwortung in eine saubere Zukunft, ohne vom Staat mit lästigen Gesetzen gegängelt zu werden. Der Schritt der Kanzlerin war total weitsichtig, denn im Kapitalismus muss der Markt grenzenlos frei bleiben. Nur er kann optimal regulieren. Konzerne mit lästigen Rechtsvorschriften zu bevormunden, wäre auch so was von totalitär und würde den freien Handel unnötig erschweren. Das weiß doch jedes (zur Arbeit gezwungene) Kind. Abgesehen davon könnten zu viel Regularien das Produzieren von Waren unnötig komplizieren. Und am Ende leidet wieder der Konsument, weil Firmen die Kosten an ihn weitergeben müssten.
Arbeitsteilung in einer hochzivilisierten Gesellschaft ist eine vernünftige Sache. Keiner bei klarem Verstand würde von einem Metzger am Knie operiert werden wollen, nur weil der scharfe Messer besitzt. Oder freiwillig über Brücken fahren, die Ratingagenturen gebaut haben, nur weil die theoretisch wissen, welcher Brückenbauer ihrer Ansicht nach gute Arbeit verrichtet. Handwerk - auch das akademische - will gelernt sein. Aus diesem Grund sollte Satire von Satirikern, Politik von Politikern und Nachrichten von Medienschaffenden gemacht werden. Doch diese Zeiten sind vorüber! Kabarettisten übernehmen die unabhängige Berichterstattung und Politiker versuchen sich in Satire. Wo diese Entwicklung wohl hinführt?
Kerngeschäft Recherche
Gott sei Dank gibt es noch Andere neben dem Chef des Magazins Focus, die den Job des Fakten-Schaffens Ernst nehmen. Und so ist es vor ein paar Tagen Verkehrsminister Andreas Scheuer tatsächlich gelungen, unter Zuhilfenahme von Experten, die „[...] Sachlichkeit und Fakten in die Diesel-Debatte […]“ zurückbringen. 107 Lungenspezialisten haben nämlich bei einer erneuten Überprüfung der Sachlage herausgefunden, die bisher geltenden Stickoxid-Obergrenzwerte waren in Großstädten vieeeel zu niedrig angesetzt. Ein neuer Fakt wurde geboren und Fahrverbote in größeren Metropolen gelten bald nur noch für antike Dampfmaschinen.
Jedoch … waren diese 107 Experten wirklich Pneumologen oder lediglich Kapitäne der Donaudampfschiffahrtselektrizitätenhauptbetriebswerkbauunterbeamtengesellschaft? Die tragen meist ebenfalls Weiß und sind ohne Donaudampfschifffahrtskapitänsmütze leicht mit Ärzten zu verwechseln. Leider wurde von staatlicher Stelle versäumt, diesen Fakt zu überprüfen. Ist aber auch egal, da sich Schiffsführer um eventuelle Fahrverbote keine Sorgen machen müssen. Die 450 kg Feinstaub, die so ein Luxuskreuzer pro Tag durch Verbrennen von Schweröl erzeugt, schadet dem Klima anscheinend nicht so sehr wie Dieselabgase von Landfahrzeugen. Schließlich gibt es auf den Weltmeeren in Summe viel weniger Kreuzfahrtschiffe als auf dem Festland Dieselfahrzeuge. Dabei spielt es keine Rolle, dass die 15 größten Kreuzfahrtschiffe mehr schädliche Schwefeldioxide ausstoßen als 760 Millionen Autos weltweit. Folglich sind CO2-Obergrenzen für Vergnügungsdampfer völlig unnötig. Bei derart guter Faktenlage können Bewohner von Hafenstädten doch beruhigt aufatmen.
Und wenn er es nicht war, war es trotzdem! Das ist bewiesen und somit alternativlos.
Haben Sie das auch gehört? Letzthin hat der Russe versucht, die Server einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt zu hacken. Gelungen ist ihm das natürlich nicht. IT-Experten der deutschen Fernsehanstalt konnten noch rechtzeitig den Stecker ziehen. Dank ihres fachmännischen Eingreifens verhinderten sie das Schlimmste. Nicht auszudenken, was böse russische Oligarchen hätten anstellen können, wenn ihnen der Hack gelungen wäre. [14] Eine Gleichschaltung der westlichen freien Medien wäre nicht aufzuhalten gewesen. [15]
125 Prozent sicher!
Manchmal habe ich das Gefühl, jeder Hackerangriff geht zu 120% höchstwahrscheinlich vom Russen aus. Davon wiederum sollen mutmaßlich 130% vom Kreml veranlasst worden sein. Die Computer-Experten um Putin herum müssen von der ganz gewiefte Sorte sein [1], denn ausschließlich sie scheinen zu wissen, wo auf einer Bluetooth-Tastatur die Hackertaste zu finden ist.
Ja, genau so muss es sein, denn böse Cyber-Attacken gehen vom Russen aus. Wem auch sonst? Westliche Demokratien, allen voran Amerika, würden so hinterhältige Cyber-Angriffe auf ausländische IT-Systeme nie ausführen. [2] Und wenn doch, dann grundsätzlich nur unter Freunden oder zum guten Zweck, will man Julian Assange oder Edward Snowden Glauben schenken. Aber was wissen die schon.
Manchmal verschwinden Produkte aus dem Einzelhandel. Vielleicht haben sie sich nicht gut verkauft, waren fehlerhaft oder das Erzeugnis war seiner Zeit voraus oder bei Markteintritt schon nicht mehr zeitgemäß. Es gibt viele Gründe, warum Kaufhäuser Artikel aus ihrem Sortiment nehmen. In der Regel nehmen die meisten Kunden von derartigen Vorgängen keine Notiz. Verständlicherweise gab es auch keine Proteste, als eine bekannte Drogeriemarktkette das Deo „Große Freiheit“ nicht mehr anbot. Doch wo blieb der Aufschrei, als eine demokratische Partei die große Freiheit aus ihrem Programm entfernt hat?
Mit dem Polizeiaufgabengesetz verschwindet etwas, was weder schlecht lief, noch fehlerhaft war: die Unschuldsvermutung eines jeden Bürgers. Laut dem neuen Gesetz darf jeder Bürger bei drohender Gefahr einfach so auf unbestimmte Zeit weggesperrt werden. Bis jetzt ist übrigens noch ungeklärt, wann eine Gefahr als drohend eingestuft wird und wie lange „unbestimmte Zeit“ dauern kann.
Aber nicht alle in Bayern sind mit dem Verschwinden der „großen Freiheit“ einverstanden. Laut Süddeutscher Zeitung will sich eine kleine beugsame Opposition dagegen wehren und sie zurückholen. Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass die Drogeriemarktkette wegen eines Aufschreis irgendeiner sozialdemokratischen Randgruppe die „Große Freiheit“ wieder in ihr Sortiment aufnehmen wird. Wenn Bürger Freiheit nicht mehr nachfragen, dann gibt es auch keinen Grund, das Angebot aufrecht zu erhalten. Was sich nicht an den Mann bringen lässt, wird eben nicht mehr produziert. Das diktieren die Regeln des Kapitalismus.
Ich weise an dieser Stelle ausdrücklich darauf hin, dass es noch andere Deo-Hersteller gibt und die CSU keinerlei Zahlungen an die Drogeriekette für die Idee abtreten musste.
Dieser Text wurde unter Beachtung der neuen DatenSchutzGrundVerOrdnung geschrieben und sämtliche Namen sind nicht nur geschwärzt, sondern gar nicht erst enthalten, da ich keine Einverständniserklärung von dm bekommen habe.
UPDATE 08.09.2021
Die „große Freiheit“ ist wieder zurückgekehrt. Also, zumindest in den Drogeriemarkt …
Amerika, das Land der tausenden Tellerwäscher, die nie zum Millionär wurden. Der ewige Traum vom Reichtum gehört zu Amerika, wie das Recht, eine Waffe zu besitzen. Das Streben nach Glück ist tief in den Köpfen verankert. Jeder kann reich werden, aber eben nicht alle, besonders jene nicht, die ehrlicher Arbeit nachgehen.
Aber in Amerika gibt es neben Teller waschen noch andere Wege, reich zu werden. Dummheit! Das zeigt nun ein weiterer irrwitziger Vorfall, der nicht minder kurios ist als die Klagen: heißer Kaffee gegen rechten Oberschenkel oder Katze gegen Mikrowelle.
Ein Autofahrer aus Texas verursachte einen Unfall, weil ihm beim Fahren auf einer Schnellstraße das Beantworten von Textnachrichten wichtiger war, als den Gegenverkehr zu beobachten. Dabei kam er völlig überraschend von seiner Spur ab und crashte in ein entgegenkommendes Fahrzeug. Der Unfallverursacher sollte eigentlich klar sein. Nicht so in Amerika. Der Fahrer aus Texas ist nämlich der Meinung, dass nicht er den Unfall herbeigeführt hat, sondern der Smartphone-Hersteller. Ja, genau! Der Unfall hätte gar nicht stattgefunden, wenn der Hersteller das Smartphone niemals gebaut hätte, demzufolge wäre er auch nicht abgelenkt gewesen. Der Fall ist klar: Schuld ist der Smartphone-Hersteller und muss für die Schäden aufkommen.