Komm Heuchler, geh doch ...

Ein polemisches Pamphlet


Komm, geh doch in ein Krankenhaus und schau zu, wie Infizierte an Corona leiden

Komm Heuchler, geh in ein Krankenhaus und schau zu, wie Kranke an multiresistente Keimen sterben

Geh in ein Altenheim, in das gebrechliche Menschen abgeschoben werden und schau zu, wie sie wegen Pflegemangels nicht würdevoll versorgt werden können

Geh danach noch in eine Suppenküche und schau bedürftigen Menschen zu, wie sie in diesem reichen Land für ihr Essen anstehen müssen

Komm Heuchler, geh doch in ein Land, in dem das wirklich jemand interessiert

Ehre dem, dem Ehre gebührt!

Gestern Abend fuhr ich nach meiner Arbeit mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof. Für gewöhnlich steige ich anschließend in die Tram, doch gestern war mir nicht danach. Gestern? War das gestern? Nein, das muss vorgestern gewesen sein. Egal. Jedenfalls ging ich den Rest des Weges zu Fuß nach Hause. Ich schlenderte ohne meine Umgebung groß zu beachten entlang des Gehwegs, als der Mann vor mir plötzlich stehen blieb und sich bückte. Beinahe wäre ich ihn reingelaufen. Bin ich nämlich in Gedanken versunken, kann es zuweilen etwas dauern, bis mein Hirn wieder in Interaktion mit meiner Umwelt tritt.

Der Mann hob ein Cent-Stück auf, pustete es an und begutachtete es von beiden Seiten. Er bemerkte, dass ich ihn beobachte. Er drehte sich zu mir um, hielt mir das Geldstück unter die Nase und sagte: „So ein Glück.“ Dabei lächelte er. Ich war ob seiner Kontaktfreudigkeit verwirrt, ebenso über seine Freude wegen eines Stück Metalls. Ohne ihm zu antworten, setzte ich meinen Fußweg nach Hause fort und ließ ihn mit seiner Freude stehen. Nun war ich aus meinen Gedanken gerissen, konnte mich nicht mehr erinner, worüber ich nachgedacht hatte.
Ich versuchte, mich daran zu erinnern, aber der Mann mit seiner Münze hatte mich aus dem Konzept gebracht, mein Gedanke war weg. Ein paar Meter weiter viel mir dafür der Spruch meiner Oma ein: „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert!“ Damals habe ich den Spruch nicht verstanden, schließlich musste ich für ein Dach über meinem Kopf nicht arbeiten, bekam drei Mahlzeiten am Tag und hatte ein Fahrrad. Mehr brauchte ich nicht, ich war glücklich. „Wer den Pfennig nicht ehrt, …“. Blödsinn. Der Ausspruch ergibt heute immer noch keinen Sinn, obwohl ich inzwischen für mich selber sorgen muss. Er ist ähnlich stumpfsinnig wie so viele Sprüche, die lediglich aus hohlen Worten ohne Inhalt bestehen. „Wer essen will, muss arbeiten!“ oder „ohne Fleiß kein Preis“. Solche Second-Hand-Weisheiten sind kurz und prägen sich leicht ein. Von Kindesbeinen an werden sie uns eingetrichtert. Ein paarmal gehört und gehorsam hoch- und runtergebetet, werden sie zur unumstößlichen Wahrheit, die keiner mehr hinterfragt. Doch mit Fleiß oder gar ehrlicher Arbeit sind die Wenigsten reich geworden. Krankenschwestern, Pfleger in Altersheimen, ehrlich arbeitende Menschen können sich meist nicht mal eine Wohnung in Großstädten leisten. Daran ändert auch ihr Fleiß nichts. „Arbeite und bete“. Lebe sparsam, sei gehorsam und wenn du dich als Arbeiter ohne Widerrede daran hältst, wird irgendeine göttliche Kraft schon für Gerechtigkeit sorgen.
Wer das Kleingedruckte gelesen hat, wird feststellen, dass das selbstverständlich erst nach dem Tod gilt. Vorher müssen die Gutgläubigen mit sich selbst klar kommen, denn Gott bietet den noch Lebenden keine Soforthilfe bei Ungerechtigkeit. Das Paradis gibt es erst nach dem Tod. Geschickt! Überprüfen kann das keiner.

Freie Platzwahl

Letzte Woche war ich im Kino. Es war eines dieser alten Lichtspielhäuser, in dem die Zeit irgendwo in den frühen 1980ern stehen geblieben war. Die Plakate an den Wänden, die Möbel, der Teppich, die Uhr, die Klamotten der älteren Dame hinter der Kasse. Rundum ein willkommener Rückblick in vergangene Zeiten. Sogar der Geruch war wie damals. Also der des Kinos, nicht der Dame. Ich stellte mich an. Die Schlange zur Kasse war nicht lang, dennoch dauerte es, bis ich an der Reihe war. Noch bevor ich Hallo sagen konnte, raunte die Kassiererin ohne mich anzusehen: „Zwei Mal?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nur ein Mal.“ Die ältere Dame blickte auf ihren Bildschirm, kniff die Augen zusammen und bewegte die Maus völlig unkontrolliert auf ihrem Tresen hin und her. Währenddessen murmelte sie etwas vor sich hin. Verstanden habe ich nichts, war zu undeutlich. Nach mehreren Kilometern Wegstrecke, die die arme Maus - also die Computermaus, nicht die Dame an der Kasse - zurückgelegt haben musste, kam endlich ein Ticket aus dem Drucker. Hatte ich sie aus dem Konzept gebracht, weil ich alleine ins Kino wollte oder warum dauerte das ...? Sie unterbrach meinen Gedanken. „Acht fünfzig. Freie Platzwahl.“ „Danke“ antwortete ich, zahlte, nahm mein Ticket und ging ohne weiter über ihre Worte nachzudenken in den Saal.

Klassiker der Literatur

Wer liest denn noch die Klassiker? Ja, WER? Wird der Eine oder Andere in der Schule dazu verdonnert - Pech. Doch daheim, in den eigenen vier Wänden, den Argusaugen der Lehrer entronnen, wer sollte sich diese Tortur freiwillig noch antun? Doch nur jene, die Literatur studieren oder jene, die besonders intellektuell wirken wollen, oder? 

Es muss kurz nach meiner Schulzeit gewesen sein, als ich mir einbildete, die Klassiker lesen zu müssen. Ich hielt das für eine gute Idee, um entronnene Bildung nachzuholen. Kann ja nicht schaden, dachte ich mir. Und da ich im Unterricht seit der siebten Klassen nicht mehr so richtig aufgepasst hatte, falls ich denn überhaupt anwesend war, schien mir das ein gutes Projekt, um Versäumtes nachzuholen. Um ehrlich zu sein, eigentlich sann es mir, gescheit daher zu reden, mein Umfeld zu beeindrucken. Schulbildung ging mir zum damaligen Zeitpunkt ziemlich am Arsch vorbei. Hatte mit meinem Leben genug zu tun.
Entschuldigung, ich schweife ab. Klassiker der Literatur!
Es muss kurz nach meiner Schulzeit gewesen sein, als das Drama seinen Anfang nahm. Ursprünglich begann es bereits in meiner Kindheit. Schuld war Gulliver! Ich wollte das Buch über seine Reisen lesen. Die Kinderausgabe. Doch mein Vater schenkte mir das Originalwerk - in deutscher Übersetzung. Eigentlich ein schönes Geschenk, nur war ich zu dem Zeitpunkt gerade mal neun Jahre alt. Ich wünschte mir von meinen Vater die Kinderausgabe mit vielen Bildern. Aber nein, er kaufte mir das Originalwerk von Jonathan Swift. Das war zwar ebenfalls bebildert, wenn auch sehr spärlich und aus kindlicher Sicht mit eher befremdlichen Bildern, aber bereits das Vorwort von Hermann Hesse hatte mich intellektuell total überfordert.
Ich kann meinem Vater keinen Vorwurf deswegen machen, hatte ich meinen Wunsch nicht genau spezifiziert. Auf jeden Fall war dieses Buch für mich als Kind unlesbar und so legte ich es zur Seite und vergaß es. Viele Jahre später, während des Auszugs aus der elterlichen Wohnung, fand ich das Buch beim Einpacken nebst den vielen andern ungelesenen Büchern in meinem Regal. Trotz meiner schlechten Erfahrung mit Gulliver damals, trat ich die Reise mit ihm aufs Neues an. Für das missglückte Geschenk meines Vaters konnte Herr Swift ja nichts. Und genau da, also kurz nach meinem Umzug, nahm das Drama seinen Lauf.

Wir benutzen Cookies
Wir verwenden auf NONrelevant ein paar Cookies, um Ihr Nutzerverhalten besser verstehen zu können. Das machen wir selbstverständlich nur, damit wir unser Angebot für Sie laufend optimieren können.

Sollten Sie uns aber unter keinen Umständen helfen wollen, unser Angebot ausschließlich für SIE zu verbessern, dann können Sie die Tracking-Cookies gerne ablehnen.

Mehr Informationen über das Sammeln Ihrer Daten, finden Sie in der Datenschutzerklärung.