Ich komme ins Büro, wie jeden Wochentag pünktlich um acht. Plus ein paar Minuten. Toleranz. Heute habe ich zwar nicht verschlafen, bin aber etwas später aufgestanden, da ich mir beim Zubettgehen bereits überlegt hatte, den ersten Kaffee nehme ich in der Firma ein. Brauch ich daheim keinen machen. Genialer Plan. Mehr Schlaf. Im Büro angekommen, gehe ich an meinen Platz, schalte den Computer ein und will – wie jeden Morgen – mir einen Kaffee holen. Ich geh in die Küche. Vor der Kaffeemaschine steht ein Mann in Arbeitskleidung. Er hält die Innereien des Vollautomaten in seinen Händen. Mir schwant Übles. Ich schaue ihn verzweifelt an, er mich und meint: „Dauert etwa vier Stunden.“ Vier Stunden, etwa! Was erlauben die sich? Am Morgen im Büro ohne Koffein, ein Unding. Nein, gar Folter!
Wenn ich schon gezwungen werde, Menschen, in dem Fall Kollegen sehen zu müssen und ich mit ihnen sogar noch interagieren muss, ist Kaffee unabdingbar. Ohne ist das unerträglich! Es müsste in der Genfer Konvention festgelegt werden, dass Wartungen von Kaffeemaschinen generell nur ab dem späten Nachmittag, wenn nicht grundsätzlich in der Nacht vorgenommen werden dürfen. Arbeiten ohne Kaffee ist qualvoll. Ich möchte meine Leiden nicht mit denen des jungen Werthers gleichstellen, doch diese Situation vermieste mir den Tag. Okay, arbeiten generell fühlt sich für mich wie Folter an, aber ohne ... Und ja, ich muss arbeiten gehen. Wie sonst soll ich Geld verdienen? Oh mein Gott, ich höre Sie schon vorwurfsvoll denken. „Warum sucht er sich denn keinen anderen Job? Soll er halt woanders arbeiten!“ Ihre Vorurteile bringen mir an dieser Stelle nichts. Denn ich muss arbeiten, um Geld zu verdienen. Das ist der Deal. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, welchen beschissenen Bürojob ich in welcher beschissenen Firma mache. Und bitte, vermeiden Sie doch eine Opferumkehrung. Ich bin nicht schuld an diesem System. Arbeit bleibt Arbeit, egal unter welchem Herrn.
Zurück am Platz gebe ich mein Passwort ein. Der Computer fährt hoch. Windows-Logo. Ich warte. Ohne Kaffee. Ich öffne das E-Mail-Programm und lese meine ersten E-Mails. Ohne Kaffee. Ich suche im Posteingang nach einer Info, warum ausgerechnet heute die Maschine gewartet werden sollte. Keine Info, keine E-Mail, kein Kaffee. Ich gehe zu meiner Kollegin, die solche Dinge organisiert. Sie entschuldigt sich. Sie hatte vergessen, es uns mitzuteilen. Ich geh zurück an meinen Platz. Ohne Kaffee. Ich habe Wut im Bauch, denke kurz darüber nach, mich jetzt krank zu melden. Denn fußläufig ist bei uns kein Café. Außerdem müsste ich aufstempeln, wenn ich das Büro verließe und ich wollte heute eigentlich pünktlich nach Hause. Wo ist eigentlich das nächste Café? Google Maps … zu weit weg. Situation unerträglich. Trinke ich halt Wasser, wie ein Hund. Scheißtag.
Endlich ist es kurz vor 12 Uhr. Ich weiß nicht, ob ich es an dieser Stelle noch einmal erwähnen muss, wie angepisst ich war. Für den Fall, Sie haben den vorherigen Text nicht aufmerksam gelesen; ich war richtig angepisst. Vier Stunden und etwas ohne Kaffee. So etwas sollte verboten werden, per Genfer Konvention. Ich weiß, ich wiederhole mich. Und ja, ich gebe zu, es ist Luxus-Folter! Dennoch war der Vormittag für mich mit fast endlosen Qualen verbunden. So stelle ich mir meinen persönlichen Vorhof zur Hölle vor. Für immer und ewig an einem Schreibtisch sitzen - ohne Kaffee. Zumindest weiß ich jetzt, was mir nach meinem Tod blüht.
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