Ich liege, also bin ich!
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Ich liege, also bin ich!

Offenbar war ich im vorherigen Leben kein kompletter Totalausfall. Als ich nach meinem Tod vor dem großen Schreibtisch des Jenseits stand, war mir sofort klar: Ganz mies gelaufen war es nicht. Sonst hätte mich irgendeine Buchhalter-Entität mit krankhaftem Hang zur Excel-Ästhetik wohl direkt in die Hölle verfrachtet – als unbezahlter Praktikant unter der gnadenlosen Aufsicht von Dämonen in Business-Casual. Ein finsterer Abgrund, in dem der Teufel täglich endlose PowerPoint-Präsentationen über effizienteres Arbeiten und geheucheltes Teamverständnis abhält.

Aber offensichtlich auch kein Heiliger, sonst säße ich wohl auf einer Wolke im Himmel. Stattdessen bin ich in der Vorhölle namens unbefristete Vollzeitstelle gelandet. Hier sind es, Gott sei Dank, „nur“ 40 Stunden Qualen pro Woche. Plus Fahrtzeit und Überstunden. Dazu noch die gelegentlichen Bonus-Qualen von zähen, aber immerhin endenden Teammeetings. Nickend, automatisiert wie ein Wackeldackel, frage ich mich in solchen Zusammenkünften, ob die Evolution nicht besser beim Einzeller hätte Schluss machen sollen. Aus reiner Menschlichkeit.

Auch wenn im tristen Büroalltag Licht und Hoffnung jeden Tag ein wenig mehr verblassen, bleibt meine Strafe überschaubar - funktional, effizient. Ich bin lediglich Schreibtisch. Benutzt, aber nie gefragt. Zumindest besser als ewige Höllenqualen.

Doch bin ich zuversichtlich: Ich war angepasst in diesem Leben. Infolgedessen werde ich im nächsten ein Stein. Lieg da dann 24 Stunden am Tag an einem sanft plätschernden Fluss – ohne Termine, Mails, Deadlines und vor allem ohne Personalgespräche über meine „Wirkung im Team“.
Ich lasse mich von Sonnenstrahlen wärmen und vom beruhigenden Murmeln des Wassers berauschen. Kein Chef, der denkt, seine Hybris bliebe von den Göttern unbestraft. Und vor allem keine Kollegen, die unmotiviert wie Aquarienfische immer wieder stumpfsinnig gegen eine Scheibe schwimmen – in der Hoffnung, dahinter ginge es weiter. Oder intellektuell so tief abgetaucht sind, und zwar ohne Sauerstoffzufuhr, dass selbst Licht nicht mehr zu ihnen vordringt. Lediglich Stille, Frieden und die endlosen Gedanken des Universums.

Vor allem keine anderen Menschen. Denn „laut und dumm“ ist eine Kombination, die mein neues Dasein nicht duldet. Einfach Stein. Ich brauche keinen Luxus, keine geheuchelte Anerkennung, keine Karriereleiter, die am Ende nichts anderes ist als ein Hamsterrad. Keine Gespräche über Geburtstage, Beförderungen oder das neue Branding der Kaffeetassen. Nur Ruhe.

Ich liege, also bin ich. Und das reicht. Mehr Dasein braucht ein Wesen nicht, das einmal Angestellter war und daraus gelernt hat.


Bild: Copilot von Microsoft

Darf‘s a bisserl mehr sein?