Kreuz und Quer

Kreuz und Quer

Querdenken, was für ein schönes Wort. Ich mochte es mal. Kam ich mit meinen Gedanken nicht weiter, half es mir, andere Meinungen anzuhören. Wie verquer die auch sein mochten, meist eröffneten sie mir völlig neue Blickwinkel. Immer noch besser als stur linear allein vor sich hinzudenken. Wäre mir auch zu einseitig, denn früher oder später führt stumpfsinnig geradeaus in eine Sackgasse ... oder global betrachtet im Kreis herum.

Letzthin dachte ich über unsere demokratische und rechtsstaatliche Struktur nach. Im Sinne der alten und neueren Philosophen. Ich habe versucht, meine Blickrichtung zu ändern. Äußern will ich meine Schlussfolgerung nicht; die Gefahr einer dieser radikalen Gruppen zugeordnet zu werden, nur weil meine Meinung womöglich nicht in das Mainstream-Schema passt, ist mir zu groß. Ich behalte es lieber für mich, verwerfe diesen Gedanken besser wieder. Obwohl ... bin ich gleich rechts, wenn ich denke?

Nun fürchte ich mich, quer zu denken. Querdenker sind gebrandmarkt. Sie stehen in einer Ecke, in der ich nicht verortet werden will. Und deswegen führe ich meine Gedanken lieber erst mal an der kurzen Leine. Doch kann ich sie nicht ewig im Zaum halten. Ich weiß genau, irgendwann wollen sie wieder ungezwungen rumtollen, die vorgegebenen Denkpfade verlassen. Denn ich liebe das Denken und noch viel mehr, die daraus resultierenden ungezwungenen Dialog oder teils wilden Diskussionen in einem offenen Meinungsaustausch mit anderen Denkenden.

Rechter, Linker, Verschwörungserzähler, Idiot. Willkürliche Gruppenzuordnungen durch außenstehende Dritte kann ich nicht verhindern, aber den selbstverordneten Gruppenzwang weitestgehend schon. Und so habe ich mich bereits in jungen Jahren den religiösen Dogmen entzogen. Nach dieser für mich wichtigen Erkenntnis bin ich nun wenig gewillt, mich leichtgläubig irgendwelchen anderen entfremdeten Glaubensauswüchsen unterzuordnen, außer während meiner Arbeitszeit, da muss ich als Gehaltsempfänger die absolute Wahrheit meines Chefs ertragen.

Meine Gedanken wollen - vor allem in meiner Freizeit - unabhängig bleiben, manchmal quer, manchmal längs. Manchmal wollen sie nach oben, nach unten, nach links, manchmal nach rechts. Kreuz und quer eben. Bevorzugt ohne Restriktionen fürchten zu müssen, gleichgültig von wem sie ausgehen mögen. Denn ich weiß, kriminell sind meine Gedanken nicht. Anders vielleicht, auch mal falsch. Und bloß aus Furcht, womöglich anzuecken, werde ich nicht aufhören, weiterhin nach links und rechts zu schauen. Vor allem dann nicht, wenn ich eine Straße überqueren möchte. Diese Einstellung macht mich nicht automatisch zu einem Extremisten. Aber das wusste ich vorher schon. Allein deswegen, weil ich Gewalt nicht mag. Ist mir viel zu anstrengend. Genauso wie darüber nachdenken zu müssen, was ich noch sagen darf.

Quer denken. Ich vermisse es. Das ganze Denken auf Linie zermürbt mich. Darf ich das in diesen Tagen überhaupt noch laut schreiben?

Komische Ausmaße nahm es letzthin in der Autowerkstatt meines Vertrauens an. Bei meinem Auto war der Querlenker kaputt. Mein erster Reflex: Damit will ich nichts zu tun haben. Der soll dort bleiben, wo er herkommt. Nach dem ersten Schock besann ich mich. Böse ist so ein Querlenker nicht, für die Namensgebung konnte er schließlich nichts. Ich gab die Reparatur in Auftrag. Ohne ihn würde mein Auto schließlich nicht einwandfrei funktionieren.

Wann haben wir eigentlich angefangen, andere Ansichten nicht mehr zu akzeptieren, nicht mehr zu tolerieren? Wann haben wir angefangen, Menschen zu verurteilen, nur weil sie eine unterschiedliche Ansicht haben? Wann haben wir angefangen, Meinungsfreiheit von Andersdenkenden einzuschränken?

In der Regel zerlegen sich Gruppen mit total wirren Ansichten selbst. Ich erinnere gerne an die sogenannten UFO-Experten aus den 1980er-Jahren. Die meisten gehen heute geerdeten Berufen nach. Oder an völlig durchgeknallte Sekten, in denen sich am vermeintlichen Ende die Anhänger selbst umbrachten. So oder so, manche Dinge erledigen sich von ganz allein.

Was mache ich jetzt mit meinen Gedanken? Mit wem kann ich sie noch teilen? Vielleicht waren sie ja dumm? Das hätten mir andere in einem Gespräch bestimmt mitgeteilt, aber ohne offenen Meinungsaustausch werde ich das wohl nie erfahren.

Vielleicht hab ich die Zeitenwende verpasst? Aber mir sagt ja keiner was. Und so halte ich es wie zu jener Zeit, als mein Vater mir beibrachte, ich müsse nicht alle Meinungen teilen, aber ich müsse mich dafür einsetzen, dass jeder seine Meinung äußern darf.

Bild: caniceus von Pixabay

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