Geteiltes Frieren ist halber Frieden

Geteiltes Frieren ist halber Frieden

„Frieren für den Frieden“ forderte der Bundespräsident letzthin seinen Bürgern ab. Sich mit der Ukraine solidarisch zeigen. Eine gute Idee, denn weniger Heizen bedeutet weniger Gasverbrauch. Das wiederum führt dazu, dass Putin weniger Geld verdient. Ergo weniger Krieg. Hab ich verstanden und will mitmachen, denn Krieg in Europa ist nicht schön.

Jetzt weiß ich nur nicht, sollten wir gleich schon für den Frieden frieren oder erst im kommenden Winter? Es ist im April zwar nicht mehr ganz so kalt, aber unsere Gasheizung ist immer noch an. Aber da der Russe letzten Monat mehr Gas nach Deutschland geliefert als je zuvor, habe ich die Situation für mich mal so interpretiert: Solidarität bekunden, umgehend, sie umsetzen erst später. Somit liegt „FFF“ für mich erst mal auf Eis! Ich meine „Frieren für Frieden“ und nicht „Fridays for Future“. Abgesehen davon wird es saisonbedingt demnächst eh wärmer und da wäre es schon arg geheuchelt, aus Solidarität die Gasheizung runter zu drehen, oder?

Wenn es aber im kommenden Winter dann soweit ist, bei welcher Raumtemperatur darf das Frieren in den eigenen vier Wänden eigentlich als solidarischer Akt gewertet werden? Meine mir Angetraute zum Beispiel friert in der Regel eher als ich. Unter 21 Grad ist ihr kalt, ich hingegen fühl mich bei knapp 20 Grad noch recht wohl. Reicht es in unserem Fall, wenn lediglich meine Frau friert, oder muss sie ein bisschen mehr frieren, damit ich ebenfalls frieren kann? Wird es irgendeinen allgemein-gültigen Richtwert geben, ab dem wahre Solidarität anfängt, oder können wir das selber bestimmen? Also, würde ein Mittelwert zwischen dem Frieren der Frau (21 Grad) und meinem (19,8 Grad) bereits ausreichen? Was ist mit unserem Schlafzimmer, da heizen wir - selbst in der kalten Jahreszeit - kaum. Ich denke, das Territorium kann ich getrost vernachlässigen, denn während der Schlafenszeit herrscht Waffenruhe - zumindest zwischen der Frau und mir.
Und … wie sollen ärmere Mitbürger, die sich das Heizen wegen der immer teurer werdenden Lebensmittel sowieso bald nicht mehr leisten können, ihrer Solidarität im Winter unter Beweis stellen? Vielleicht könnten sie zum kalt bleibenden Heizkörper öfter das Fenster aufmachen? Denn gemeinsames Frieren funktioniert nur, wenn alle mitmachen. Oder wird es einen Rabatt auf Solidarität für Familien mit geringerem Einkommen geben? Wäre zumindest solidarisch.

Seit Längerem und in den letzten Tag verständlicherweise wieder vermehrt beschäftigen mich ein paar generellere Fragen: Warum tritt unsere Solidarität bloß in Wellen auf? Warum ist uns manches Unrecht mehr Empörung wert als anderes? Hat das geographische Ursachen? Je weiter eine Tragödie weg, desto egal? Warum fordern wir grenzüberschreitend nicht mindestens genauso lautstark: „Jackenlos für Jemen“, „Barfuß für Bangladesch“ oder „Hemdlos für Hungernde Kinder in Afrika“?
Verdammt! Ich sollte lernen, nicht jeden Gedanken niederzuschreiben. Sonst kommt der ein oder andere Politiker vielleicht auf noch irrwitzigere Ideen und wir müssen im nächsten Winter nicht nur in der Wohnung, sondern auch draußen frieren, so ganz ohne Bekleidung aus Bangladesch. Aber Gott sei Dank steht das nicht zu Debatte, denn für menschenverachtende Kinderarbeit, verhungernde Kinder auf anderen Kontinenten oder Kriegsopfer im Jemen hatten wir uns noch nie wirklich interessiert. Ist einfach zu weit weg.
Und dann würde mich noch interessieren, wer entscheidet eigentlich, wann wir uns für wen wie umfangreich aufopfern sollen? Diese Frage kann ich gerade nicht weiterverfolgen, bin von der geheuchelten Solidarität ganz ausgehungert! Hoffentlich hat der Bundespräsident mir noch ein Stück vom Kuchen aufgehoben.

Ach ja, kurz noch eine spezifische Frage … mit Erklärungsversuch:
Wenn Gaslieferungen aus Russland wie eh und je fließen, warum wird das Gas so teuer? Vielleicht, weil wir das Gas zukünftig von den Amerikanern beziehen werden und unsere deutschen Gaskonzerne deswegen schon mal für die vielen großen Tankschiffe zum Transport des gefrackten Gases sparen müssen. Oder vielleicht, weil unsere Regierung das Gas aus Russland zu Marktpreisen an andere Länder gewinnbringend weiterverkauft, anstatt es zugunsten ihre Untergebenen für später zu speichern.

Wie auch immer es kommen mag, wir im reichen Deutschland brauchen uns für den nächsten Winter wegen der Heizung nun wirklich keine Sorgen machen. Wenn es mit Inflation so weiter geht, können wir unsere Wohnungen mit den wertlos gewordenen Geldscheinen einheizen.

Moral von der Geschicht:
Menschenunwürdiges Verhalten ist nicht nur in Europa zu ächten, sondern überall. Doch sollten wir stets bedenken, zu viel Moral könnte unseren Luxus gefährden!
Warum also scheißen wir nicht auf alle Kriege und lassen sie einfach weg? Wieso zeigen wir da keine Solidarität?

 

11.04.2022, 20:55 h:
Eben ist mir noch was eingefallen: Wieso wurde in den letzten paar Wochen gerade Benzin so sauteuer. Verstehe ich nicht, haben doch seit Kriegsbeginn die Ölkonzerne 3.000.000.000 (in Worten: 3 Milliarden) Euro mehr Gewinn gemacht?
Solidarität ist schon eine feine Sache. Vor allem, wenn sie für alle gleich gilt!

Darf‘s a bisserl mehr sein?

Wir benutzen Cookies
Wir verwenden auf NONrelevant ein paar Cookies, um Ihr Nutzerverhalten besser verstehen zu können. Das machen wir selbstverständlich nur, damit wir unser Angebot für Sie laufend optimieren können.

Sollten Sie uns aber unter keinen Umständen helfen wollen, unser Angebot ausschließlich für SIE zu verbessern, dann können Sie die Tracking-Cookies gerne ablehnen.

Mehr Informationen über das Sammeln Ihrer Daten, finden Sie in der Datenschutzerklärung.